
Gastbeitrag von Jörg Möller, Typ 1 Diabetiker (www.diabetesinfo.de)
Nicht-Diabetiker haben es einfacher: nicht nur, dass deren Körper selber mit einem steigenden Blutzuckerspiegel zurechtkommt (indem er selbstständig die nötige Dosis Insulin ausschüttet), er kann sich auch helfen, wenn der Blutzucker zu sehr abfällt (z.B. wenn man längere Zeit nichts gegessen hat und sich trotzdem körperlich betätigt)
Das wichtigste Organ dazu ist die Leber, die große Mengen Glucose (Traubenzucker) speichern kann (in seiner Speicherform, dem „Glykogen“). Daneben kann die Leber auch Glucose selbst bilden.
Kommt es zu einem Abfall des Blutzuckers, zu einer „Hypoglykämie“, dann reagiert der Körper, indem er den Insulinausstoß drosselt oder gar ganz einstellt. Die insulinproduzierenden Betazellen stehen in engem Zusammenhang mit den Alphazellen, die das Hormon „Glukagon“ herstellen. Registrieren nun die Alphazellen, dass die Insulinausschüttung nachlässt, steigern sie ihrerseits die Ausschüttung von Glukagon. Das stößt dann u.a. in der Leber die Umwandlung von Glykogen in Glucose an (bzw. kurbelt es auch die Glucoseneubildung an). Auf diese Art kann die Leber dann gegen den zu niedrigen Blutzuckerspiegel Glucose direkt ins Blut abgeben.
Neben diesem hormonellen Auslöser für die Gegenregulation (gegen den zu niedrigen Blutzucker regulieren) gibt es auch noch einen Auslöser über das Nervensystem. Glucose ist der Haupt-Energielieferant für das Gehirn. Kommt es daher im Gehirn zu einer Unterversorgung kann es durch das autonome Nervensystem, genauer gesagt den Sympathikus, seinerseits eine Mehrausschüttung an Glukagon (und anderen Hormonen) veranlassen. Das wäre daher der sympathische Auslöser.
Soviel zu den Fakten in Kürze.
Beim insulinspritzenden Diabetiker ist dieser ganze Prozess leider auch gestört: zum einen fehlt ein wesentlicher Auslöser für den hormonellen Weg, nämlich der niedrige Insulinspiegel. Typ1-Diabetiker haben immer Insulin im Blut. Nicht nur von der Mahlzeit, sondern auch das Basalinsulin.
Zum anderen „lernt“ das Gehirn mit steigender Anzahl an Hypoglykämien, dass es zu Mangelzuständen kommen kann und nimmt mit der Zeit Glucose besser auf, bzw. steigt leichter auf alternative Energiequellen (wie Ketonkörper oder Laktat) um. In der Folge kommt es dann im Lauf der Jahre zu einem Nachlassen des sympathischen Auslösers.
Es ist wichtig das zu wissen, damit man einen zu hohen Blutzucker nicht immer gleich auf eine mögliche Gegenregulation schiebt. So kann eine Gegenregulation durch eine nächtliche Unterzuckerung die Ursache für einen morgendlich erhöhten Nüchtern-Blutzuckerwert sein, es kann aber auch mit dem Abendessen vom Vortag zusammenhängen.
Wie eingangs erwähnt setzt die Leber auch neue Glucose selber zusammen. Als Baustoffe dafür kann Sie unter anderem Glycerin (aus Fetten) und gewisse „glykogene“ Aminosäuren (aus Eiweiß) verwenden. Dieser Umbauprozess dauert in der Regel 6-8 Stunden und tritt nach einer Nacht deutlicher zutage, weil die Versorgung mit basalem Insulin nachts in der Regel geringer als tagsüber ist. (Im Schlaf sinken die Blutspiegel vieler Hormone, so dass vor allem in der Zeit 3-4 Stunden nach dem Einschlafen die Insulinempfindlichkeit am Höchsten ist)
Auch kommt es häufig vor, dass man während einer Unterzuckerung mehr Kohlenhydrate zu sich nimmt, als eigentlich nötig wären. Die Folge ist dann natürlich auch ein zu hoher Blutzuckerwert, wenn diese Kohlenhydrate erstmal ins Blut gelangen. Das kann sogar ziemlich schnell gehen, da die Magen-Darm-Beweglichkeit bei Blutzuckerspiegeln unter 70 mg/dl (3,9 mmol/l) deutlich erhöht ist, damit die Kohlenhydrate schneller ins Blut gelangen.
Fazit
Die Möglichkeit einer Gegenregulation besteht, wird aber mit zunehmender Diabetesdauer immer unwahrscheinlicher. Wenn man sich zu schnell verleiten lässt, diese als Ursache für einen zu hohen Blutzuckerwert anzunehmen, dann nimmt man sich die Möglichkeit, solche Blutzuckerspitzen in Zukunft zu vermeiden. Selbst Spitzenwerte, die nur kurze Zeit bestehen und daher nicht ins HbA1c übergehen (dort werden Sie erst nach 3-4h irreversibel) üben schon schädigende Einflüsse auf die Blutgefäße aus (insbesondere auf die kleinen Blutgefäße, die Nerven und die Netzhaut des Auges versorgen).
Jeder Körper verträgt nicht unendlich viele solcher schädigenden Einflüsse. Da niemand vorhersagen kann wieviele es beim Einzelnen sind ist es wichtig, so viele wie möglich zu vermeiden.
„Der Krug geht solange zum Brunnen bis er bricht“, sagt ein altes Sprichwort. Und wenn man nicht vorhersagen kann wann er bricht ist es weise, ihn nicht mehr zu belasten, als unbedingt nötig ist.
Autor: Jörg Möller von http://www.diabetesinfo.de/
>Links:
Studie über die Auswirkungen nächtlicher Hypoglykämien auf den Nüchtern-Blutzuckerwert: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23672623
Artikel „Hypoglykämie – Eine unterschätzte Gefahr?“:
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=43221
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