
Gastbeitrag von Marcia G. mit Sohn David 5 Jahre, Diagnose Nov.2009
Die Diagnose Diabetes Typ 1 bei einem Kind trifft ausnahmslos alle Eltern, wie ein Schlag ins Gesicht. Wenn es aber ein kleines Kind trifft, das noch nicht mal 3 Worte aneinanderreihen kann und noch weit entfernt davon ist, das ansatzweise zu verstehen, was Mama und Papa ihm tagtäglich antun müssen, um sein kleines Leben zu erhalten, macht alles noch komplizierter.
So erging es uns. Unser zweiter Sohn David sollte in zwei Tagen 15 Monate alt werden und wir Eltern hatten die Hoffnung, dass unser kleiner Rabauke nun langsam aber sicher etwas umgänglicher werden könnte, denn er war ein sehr anstrengendes Baby, hat viel geweint und gequengelt.
David war motorisch früh sehr gut entwickelt und rannte an seinem ersten Geburtstag los, als wenn er das schon seit Monaten heimlich geübt hätte. Das änderte sich aber schlagartig, er fing an wackelig zu werden und fiel oft hin, seine Laune wurde immer schlechter, er trank wahnsinnig viel, gerade nachts fiel uns das extrem auf, weil er wie am Spieß schrie, wenn man ihm seine Wasserflasche wieder wegnahm, weil man meinte, das müsste jetzt aber reichen. Die Pampers quoll über, ich wechselte ständig nachts die Bettwäsche und seine komplette Kleidung.
Am 28.09.2009 verschlechterte sich sein Zustand zusehends, so dass ich ihn morgens zum Kinderarzt brachte. Der Schlag kam und saß tief in meinem Gesicht, als der Arzt mir sagte, ich solle sofort und ohne jegliche Umwege meinen Sohn ins Krankenhaus bringen – er hätte Diabetes Typ 1.
Ja klar, mein Sohn, eigentlich noch ein Baby, gerade erst der Milchflasche entwachsen… Mit diesen Gedanken und vor allem, dass sich im Krankenhaus alles aufklären würde und wir gleich wieder mit Antibiotika oder so nach Hause geschickt werden machte ich mich auf meinen 30 km weiten Weg ins Krankenhaus. Trotzdem hatte ich eine unbeschreibliche Panik und weiß eigentlich gar nicht mehr so richtig, wie ich diesen Weg unbeschadet hinter uns gebracht habe.
Mein Kind war mittlerweile richtig apathisch und schaute mich nur aus seinen großen, eingefallenen Augen an, als ich ihn aus dem Auto in die Kinderklinik trug. Von da ging alles ganz schnell. Mein Sohn, der bis dahin eine wahnsinnige Angst vor fremden Menschen hatte, lag auf der Liege und ließ alles seelenruhig über sich ergehen und da traf mich die Erkenntnis, dass es ihm wirklich und tatsächlich sehr schlecht gehen musste. Die Ärzte bestätigten mir natürlich die Diagnose des Kinderarztes und die schlimmste Zeit meines Lebens fing an.
Nach und nach verstand ich erst die Tragweite dieser Diagnose, ich hatte ja bis dahin überhaupt keine Vorstellung, was diese Krankheit wirklich bedeutet. So fing das 10tägige Lernen im Krankenhaus an. Meinem Sohn ging es am nächsten Morgen schon so viel besser, er war wie ausgewechselt, hatte plötzlich keine Angst mehr vor den ganzen Ärzten und Schwestern. Am zweiten Tag hielt er den Krankenschwestern sogar schon seine kleinen Fingerchen hin, sobald sie zur Tür reinkamen. Es war, als wäre er erlöst, als wenn er zeigen wollte „So, nun wisst ihr endlich, was mir fehlt, damit es mir gut gehen kann!“ Natürlich hörte das Quengeln nicht ganz auf, denn die Aufs und Abs mit seinen Werten hinterließen immer ihre Spuren, aber nun wussten wir wenigstens, warum er sich so schlecht fühlte.
Als wir dann endlich das Krankenhaus verlassen durften, fühlte ich mich wie eine frischgebackene Mutter, die mit ihrem Säugling nach Hause geht. Leider nur im Negativen. Die Angst, all das was jetzt kommt, nicht zu schaffen. Die neue Art von Verantwortung für das Leben meines Kindes zu meistern. Das Leben komplett neu zu organisieren. Sich gedanklich vom Arbeitsleben zu verabschieden. So viele Gedanken und Fragen und keine Antworten in Sicht.
Hätten wir Eltern es erahnen müssen, dass es unserem Kind SO schlecht geht, dass sein kleines Leben ernsthaft in Gefahr ist? Unser Kind konnte uns nicht sagen, dass es sich schlecht fühlt und Schmerzen hat? Und von Schrei- und Spuck-Babys liest man auch ständig und überall, dass sich das verwächst. Dass vielleicht der Diabetes ihn schon früh dermaßen beeinträchtigt haben könnte ist seit dem unser ständiger Gedanke.
Die Diagnose bei so kleinen Kindern trifft uns Eltern immer umso mehr
Die Diagnose bei so kleinen Kindern trifft uns Eltern immer umso mehr. Wir konnte ihm noch nichts erklären, ihm helfen zu verstehen, warum wir das alles tun müssen. Und andersherum konnte er uns noch nicht sagen, wie es ihm geht, um vielleicht seinen BZ-Wert einschätzen zu können. Also war sehr engmaschiges Messen am Tag aber auch genauso nachts für uns in den ersten Wochen ein Muss! Extreme Schwankungen waren die Tagesordnung und es ließ sich nichts vorhersehen. Zum Glück machte ihm das Messen noch nie etwas aus, er fing sogar sehr früh an selbst mitzuhelfen, zuerst nur beim Piksen, dann nach etwa einem Jahr wollte er es immer öfter auch selbst machen. Er war stolz wie Oskar, dass er das selbst konnte und wir Eltern freuten uns darüber genauso wie über seine ersten Schritte.
Das Katheter setzen war in den ersten Jahren die Hölle – es ging sowieso nur zu zweit, mit vielen Tränen und gutem Zureden, manchmal zu ganz doofen Zeiten auch mit Hilflosigkeit und Ungeduld meinerseits, denn es hat mich zerrissen, dass ich einfach keine Wahl hatte und es tun musste. Aber auch das hat sich mit der Zeit gelegt und David begriff immer mehr, dass es ohne absolut nicht geht. Er fing an bei den „Vorarbeiten“ zum Katheter setzen zu helfen – ein weiterer Schritt für ihn, die Krankheit als Selbstverständlichkeit zu sehen.
Mit Heranrücken seines dritten Geburtstages kam dann, wie für jeden 3jährigen die Kindergartenfrage auf. Die Erzieherinnen des Kindergartens, in dem schon mein erster Sohn gewesen war, erklärten sich sofort dazu bereit, David aufzunehmen und entsprechende Schulungen zu machen. Trotz aller Bemühungen, klappte die Eingliederung in einen normalen Kindergartenalltag nicht. Eine Integrationskraft wurde uns vom Amt verweigert, mit der Begründung, dass David nicht hilfebedürftig genug sei.
Einen Kindergarten finden…
Wir hatten das Riesenglück noch einen zweiten Kindergarten im Dorf zu haben. Dieser ist eine integrative Einrichtung und so versuchten wir dort unser Glück. Mit 4 Jahren wurde David nun endlich ein ganz normales Kindergartenkind und er blühte von Tag zu Tag immer mehr auf. Zu sehen, dass er trotz der ständigen Messerei, alles aber auch wirklich alles genauso machen konnte, wie seine Freunde, war eine Erlösung für uns alle. Und auch, dass in seiner Gruppe ein weiterer Junge mit Diabetes ist und die beiden tagtäglich einander mit der Krankheit im Alltag erleben dürfen, ist so traurig die Tatsache auch ist, für beide trotzdem ein Segen. Auch dass Davids Erzieherinnen, denen ich unermesslich dankbar bin, es als absolute Selbstverständlichkeit und als ihre Aufgabe sehen, meinem Kind ein normales Leben zu ermöglichen, ist für uns eine Hilfe, die leider so in vielen anderen Einrichtungen nicht selbstverständlich ist.
Und trotz aller Schwierigkeiten, guten, sowie schlechten Zeiten, ist David mittlerweile 5 ½ Jahre alt und ein tolles, selbstbewusstes Vorschulkind, das sich mit seinen Freunden im Kindergarten darauf vorbereitet, im Sommer zur Schule zu gehen – ganz normal, wie jedes andere Kind auch.
Mein Mann und vor allem ich lernen, seitdem David im Kindergarten ist, immer mehr loszulassen. Ein Lernprozess, der ein Weilchen dauert, aber wenn man sich darauf einlässt, ist es ein Segen für die ganze Familie. Ein Ausflug hier, eine Spielverabredung mit Freunden am Nachmittag da, Kindergeburtstage, Fußballspielen im Verein und andere ganz alltägliche Erlebnisse für alle Kinder sind nun auch für mein Kind möglich, weil wir viel Hilfe und Verständnis von den Menschen um uns herum erfahren durften. Dafür an alle ein riesen DANKE!
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2 Antworten
Schöner Bericht. Unser Kleiner bekam mit 19 Monaten die Diagnose. Leider hatten wir einen schwierigeren statt mit Intensivstation. Jetzt wird er bald 3, jeder Tag ist ein Kampf um optimale Werte. Von >300 bis <20 ist bei uns alles dabei. Wir hoffen er merkt bald wo sein Blutzuckerspiegel liegt und können entspannter auf den Spielplatz gehen. Bis dahin messen wir akribisch alle 1,5h.
Liebe grüsse
Liebe Marcia,
unsere Tochter Rebecca war gerade 18 Monate alt, als sie Diabetes bekam. Uns ging es in fast allen Bereichen genauso wie Ihnen, wir haben ganz ähnliche oder sogar die gleichen Erfahrungen gemacht. Heute ist Rebecca ein fröhlicher Zweitklässler und es geht ihr gut. Vielen Dank für Ihren Bericht!
LG Claudia H.