
Wenn ein Kind Typ 1 Diabetes hat, drehen sich viele Gespräche in der Familie, aber auch im Freundeskreis über die Erkrankung. Sie nimmt ja schon einen sehr großen Platz in unserem (Familien-)Leben ein. So auch wieder vor ein paar Tagen. Jetzt, wo der 7 Jahres Tag von Timos Diagnose vor der Tür steht, kamen wieder die Fragen auf. „Wie war das, damals bei der Diagnose? Wie habt ihr eigenglich bemerkt, das Timo Diabetes Typ 1 hat und wie kommt ihr heute mit der Krankheit zurecht?“
Beim Reflektieren wird mir immer wieder erschreckend klar, das wir die ersten Symptome lange nicht richtig als solche wahrgenommen haben. Oder wir haben die Symptome als etwas anderes abgetan. Auf einen Wachstumsschub oder auf eine „Phase“ wie sie kleine Kinder ja immer wieder gerne haben. Ich muss eingestehen, dass wir die ersten Anzeichen der Krankheit nicht erkannt haben.
Die Zeit vor der Diagnose und ersten Anzeichen
Zur Vorgeschichte: Im Mai 2010 erkrankte Timo am Norovirus. Ihm ging es damals richtig schlecht und wir mussten sogar 5 Tage im Kinderkrankenhaus verbringen. Kurz darauf, noch nicht ganz erholt vom Norovirus, verbrachten wir im Juni ein paar Urlaubstage in Italien. Was eigentlich eine schöne Auszeit werden sollte, wurde zu unserem schlimmsten Urlaub. Timos war den ganzen Urlaub über sehr bockig und unausgeglichen. Wir konnten uns sein so geändertes Verhalten nicht erklären. Es war uns unerklärlich. Wir dachten damals, es liegt wohl noch an der Anstrengung der vorangegangenen Krankheit oder es ist mal wieder so eine neue Trotzphase. Im Nachhinein muss ich sagen, dass Timo vielleicht schon die ersten Anzeichen der Krankheit Diabetes Typ 1 spürte. Mit seinen gerade mal 2 ¾ Jahren konnte er sich einfach nicht anders äußern. In den Sommermonaten war die Situation dann wieder entspannter und wir hatten den Urlaub und diese „Phase“ auch schon fast wieder vergessen. Nur eine Sache, die wollte einfach nicht funktionieren. Unser Sohn wurde einfach nicht „sauber“. Er musste einfach zu oft auf die Toilette, so, dass wir mit dem Töpfchen gehen gar nicht nachkamen. Aber auch dafür hatten wir eine für uns logische Erklärung: Bei Jungs kann das „sauber werden“ ja schon mal etwas länger dauern und da es auch sehr warm war, hat Timo ja auch entsprechend viel getrunken.
Im September 2010 begann dann eine neue Zeit für uns. Timo kam in den Kindergarten und ich fing wieder an zu arbeiten. In diesen Tagen fiel uns das erste Mal auf, wie oft Timo in der Nacht auf die Toilette musste. Aber selbst dadurch kamen wir nicht auf den Gedanken, dass Timo bereits die ersten Symptome der Diabetes Erkrankung zeigen könnte. Im Oktober wurde sein Trinkverhalten dann immer auffälliger. Er trank ständig und sehr viel. Und auch sein Wesen veränderte sich massiv. Er war auf einmal sehr gereizt, fast schon aggressiv. In einem Gespräch mit Bekannten erwähnte ich dann meine Sorgen und zum ersten Mal hörte ich was von Diabetes. Timo könnte Typ 1 Diabetes haben. Aber kann das wirklich sein? Diabetes kannte ich nur in Zusammenhang mit meiner Oma (Typ 2 Diabetes). Dieser Gedanke ging mir jedoch nicht mehr aus dem Kopf. Ich war nach diesem Gespräch sehr beunruhigt und so vereinbarte ich gleich für den nächsten Tag einen Termin bei unserem Kinderarzt. Mit einem mulmigen Gefühl waren wir dann in der Praxis. Unser Kinderarzt nahm unsere Sorgen sehr ernst und machte dann erst einmal einen „Zuckertest“. Urinprobe und Fingerpiks. Das erschreckende Ergebnis der Blutprobe: Ein Blutzucker von 585 mg/dl (>319 mml/l) . Damit hatten wir plötzlich die Diagnose, die ich am Tag vorher noch so vehement ausgeschlossen habe.
Der Tag der Diagnose und die ersten Tage im Krankenhaus
Diesen Tag und dieses Datum, es war der 15.10.2010, werde ich nie vergessen. Timo war gerade mal 3 Jahre und 3 Monate alt. Ich bin noch in der Kinderarztpraxis in Tränen ausgebrochen. Ich verstand die Welt nicht mehr. Wie konnte mein kleiner Sohn Diabetes haben? Ich war in meiner ersten Trauer gefangen. Ich habe dann gleich noch meinen Mann über die Diagnose informiert und meine beste Freundin hat mich und Timo dann vom Kinderarzt in die nahegelegene Kinderklinik mit Diabetesambulanz gefahren. Ich hätte mich in meinem Zustand nicht hinters Steuer setzen können. Außerdem hatte ich gleich jemanden der meine Trauer mit aufgefangen hat. Es war alles so unwirklich und nicht greifbar für mich. Der ganze Tag lief ab, wie in einem schlechten Film. Und zur Trauer kam dann auch noch eine Angst. Angst vor dem neuen, unbekannten. Denn ich konnte mir nicht vorstellen, was die Diagnose für Timo und auch für unsere Familien bedeuten wird. Er war doch noch so klein.
In der Kinderklinik ließ Timo die ganzen Untersuchungen über sich ergehen. Er sagte nichts und ich spürte seine Angst vor dieser Situation. Er verstand nicht, was hier gerade vor sich ging. Und auch meinen Mann brachte der Anruf und die Diagnose aus der Spur. Uns fehlte das Wissen, über diese Krankheit. Bis zu diesem Tag wussten wir nicht einmal das Kinder an Diabetes Typ 1 erkranken können. Wir hatten einfach Angst vor dem was jetzt auf uns zukommt.
Die Ärzte spritzen Timo nach den ersten Untersuchungen gleich Insulin. Und in den nächsten Stunden konnte wir immer mehr erkennen, dass es ihm dadurch besser ging. Wir merkten die positive Veränderung bei unserem kleinen Jungen. Und wir, wir hatten in den nächsten Tagen und Wochen im Krankenhaus unheimlich viel zu lernen. Wir mussten Kohlehydrate berechnen und alle 2 Stunden Timos Blutzucker messen. Timo bekam dann rasch eine Insulinpumpe. Als die Ärzte, das erste Mal das Wort Insulinpumpe erwähnten, konnte ich mir gar nichts darunter vorstellen. Mein erster Gedanke war, muss das operativ vorgenommen werden? Ich stellte mir einen kleinen Kasten, ähnlich wie einen Herzschrittmacher vor. Doch es war „nur“ ein kleiner Kasten, den Timo nun seit 7 Jahren um den Bauch trägt und sein Leben um einiges erleichtert.
Unsere Tage waren voll von Sorgen und voll mit Informationen
Es waren fast schon zu viele Informationen auf einmal. Wir konnten gar nicht alles so aufnehmen wie wir wollten. Und ich habe mir gedacht, ich geh nicht mehr aus dem Krankenhaus nach Hause. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie wir das alles, ohne Hilfe der Ärzte und Schwestern schaffen sollen. Wir Eltern haben schon einige Zeit gebraucht, um eine gewisse Sicherheit im Umgang mit der Krankheit zu bekommen und das Ganze für uns zu verarbeiten. Sehr geholfen bei diesem Schritt, hat mir meine von mir gegründete Selbsthilfegruppe gegeben. Gemeinsam mit anderen betroffenen Eltern sich austauschen, das hat mir sehr gut getan. Und was das Akzeptieren der Krankheit auch etwas einfacher gemacht hat, war die Tatsache, dass Timo immer mehr aufblühte. Da merkten wir erst so richtig, wie schlecht es ihm die letzten Wochen und Monate wohl ergangen ist. Er fand sich so schnell mit allem zurecht, dass wir als Eltern uns daran ein Beispiel genommen haben. Wenn ein 3-Jähriger seine Situation so annehmen kann, dann können wir das als Eltern erst recht. Irgendwann machte es Klick und wir waren bereit in das neue Leben mit Diabetes Typ 1 zu starten.
Und heute nach 7 Jahren
Lese ich heute von neumanifestierten Familien, erinnere ich mich noch genau an unsere erste Zeit zurück. An die Sorgen, Nöte und Ängste. Aber auch an die Frage nach dem „Warum“ und der Überforderung der ersten Tage. Ich möchte allen neu diagnostizierten Eltern sagen: Gebt nicht auf. Es wird mit der Zeit „besser“. Auch wenn es da immer wieder de Tage gibt, an denen man mit dem Schicksal hadert. Die Krankheit fordert oft viel von uns. Aber alles ist machbar. Und ihr schafft es auch.
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Eine Antwort
Liebe Mandy,
Wunderschön geschrieben, der Artikel. Es schnürt mir den Hals zu, weil Erinnerungen an die Diabetes-Manifestation meines Sohnes hochkommen. Aber gleichzeitig hilft es so sehr, mit anderen Betroffenen sich auszutauschen. Euren blog zu lesen. Ich kann anderen Familien, die gerade vor diesem Abgrund stehen auch nur Mut zusprechen: ihr schafft das. Mit der Zeit wird der Umgang mit dem Diabetes wirklich einfacher, der Schrecken nimmt ab und die schönen, kostbaren Momente überwiegen.
Liebe Grüße
Swantje